Teil zwei unseres Erfahrungsberichts zum Einsatz der Bezirksreserve des Kreis Lippe im Hochwassergebiet von Euskirchen. Die zweiten 48 Stunden nach Alarmierung unserer Kräfte.
Von Frank Tasche
Um die Kameraden, die sich bereits in Euskirchen befanden, abzulösen, konkretisierte sich im Laufe des Donnerstags der Bedarf für mindestens weitere 48 Stunden eine Ablösung zu stellen.
Am 15. Juli 2021 wurde der Bedarf die Kameraden vor Ort abzulösen immer konkreter. Da wir im Gegensatz zur ersten Einheit durch die Medien und Berichte aus Region schon einen ersten Eindruck der Lage gewinnen konnten, war die Bereitschaft in der Truppe natürlich groß. Jedoch müssen Angehörige, Arbeitgeber und andere Verpflichtungen damit natürlich einhergehen.
Auch hier waren die Anforderungen wieder eine Einsatzdauer von 48 Stunden mit möglicher Ablöse durch frische Kräfte. Also schnell das nötigste gepackt, dankenswerterweise ergänzt um die ersten Tipps der Kameraden vor Ort: Schlafsack nicht vergessen; genug Wechsel- und Freizeitkleidung, um zumindest in den Pausen die dort nicht waschbare Einsatzkleidung mal gegen bequeme Sachen tauschen zu können.
Gegen 10 Uhr am Freitagmorgen ging es dann Richtung Sammelplatz an der Feuerwache Bad Salzuflen. Hier trafen wir auf die anderen Lippischen Einheiten, um von dort im Verband Richtung Euskirchen aufzubrechen.
Wem bis dahin der Ernst der Lage nicht klar war, dem wurde dies spätestens beim Ausfüllen des Zettels, welche Angehörigen im Fall der Fälle zu benachrichtigen seien deutlich. Es sollte ein nicht alltäglicher Einsatz werden.
Abmarsch Richtung Euskirchen, mit dauerhaftem Blaulicht und Einsatz von Martinshorn, wenn es nötig war. Spätestens mit erreichen des Rheinlands kamen die ersten Verkehrseinschränkungen durch die Flut. Autobahnen waren gesperrt, Orte (Wuppertal) nicht durchfahrbar. Kurz vor Euskirchen ging es dann nur noch mit Hilfe eines örtlichen Lotsen weiter, der uns über Feld- und Schleichwege die Fahrt zu unseren Kollegen ermöglichen konnte. Fast sämtliche Brücken waren zerstört oder nicht mehr befahrbar. Am Rande dieser Schleichwege gab es zum ersten Mal Kontakt mit dem, was uns vor Ort erwarten sollte. Über- und weggespülte Verbindungswege, aufgegebene Autos, Geröll und plattgedrückte Vegetation. Szenen wie man sie mit dem Krieg in Verbindung bringt, aber nicht mit idyllischen Landschaften mitten in Nordrhein-Westfalen. Teilweise verbunden mit dem Geruch nach Öl und Kläranlage.
Vom Kopf her alles sehr schwer zu begreifen war der Wechsel zwischen totaler Normalität und katastrophalen Zuständen. Bereits einige Zentimeter hatten offenbar für einige der Betroffenen den manchmal lebensrettenden Unterschied gemacht.
In einem nüchternen Euskirchener Gewerbegebiet kamen dann gegen 17 Uhr endlich die ersten Lippischen Feuerwehrfahrzeuge in Sichtweite. Mit ihnen die erschöpften und sichtlich berührten der Kameraden. Kein Zweifel, hier wurde die letzten Tage nicht viel geschlafen. Zeit für kurze Gespräche, Einweisung in die Schlamm verschmierten Fahrzeuge und provisorische Unterkunft und schon ging es für die erste Schicht in Richtung Heimat.
Von da an bildeten wir einen Zug mit Kameraden aus Oerlinghausen, Bad Salzuflen und Augustdorf. Ein Blick in die Runde zeigte teilweise bekannte-, überwiegend aber fremde Gesichter. Das sollte sich bis Sonntagabend ändern, wuchsen wir zu einer Einheit zusammen. Mit dem Ziel, den Menschen vor Ort so gut es eben geht zu helfen.
Doch zurück zum Freitag. Am Abend erwartete uns als erste Einsatzstelle der vollgelaufene Keller eines Kindergartens. Alle Beteiligten müssen sich erst noch in ihre Rolle einfinden. Welche Fahrzeuge haben wir hier überhaupt? Wer gehört zum Zug? Wer wird hier gerade angesprochen? Habe ich die richtige Gruppe am Funkgerät eingestellt?
Vom menschenleeren, durch das Hochwasser nicht tangiertem Gewerbebiet, geht es in die betroffene Ortschaft.
Man merkt den Blicken der Leute an, dass sie mehr als froh sind, Feuerwehrautos in ihren Straßen zu sehen. Auch wenn wir nicht wie üblich Minuten, sondern erst Stunden oder gar Tage später vor Ort sind. Viele konnten nicht mal einen Notruf absetzen. Die Kommunikation läuft fast ausschließlich durch persönlichen Kontakt.
Eine Kindergärtnerin macht sich bemerkbar und weist uns in die Lage vor Ort ein. Im Grund ist es ein gewöhnlicher Feuerwehreinsatz. Doch nichts ist hier gewöhnlich. Viele verschlammte, nicht mehr fahrbereite Fahrzeuge versperren die Zuwegungen. Weitere Anwohner fragen nach Hilfe und Informationen. Die Talsperre sei gebrochen, ob wir Informationen hätten. Leider ist unsere Informationslage fast genauso unklar, wie die der Euskirchener Einwohner. Immerhin wissen wir unsere Angehörigen in Sicherheit, was viele der Leute vor Ort leider nicht von sich behaupten können. Während die Kindergärtnerin einen offenbar aufwühlenden Anruf erhält, der zu einem spontanen Tränenausbruch führt, kümmert sie sich nur Minuten später wieder liebevoll um uns Einsatzkräfte und bietet Knäckebrot zur Versorgung an. Keiner von uns mag sich vorstellen, wie es in diesen Augenblicken im Innern vieler Leute vor Ort aussehen mag. Vermutlich werden große Teile dessen, was in den letzten Stunden sprichwörtlich mit dem Wasser weggespült wurde erst im Kopf realisiert, wenn man statt zu agieren, nur noch reagieren kann.
Gegen 22 Uhr verlassen wir die Einsatzstelle und müssen die restlichen Anwohner vorerst vertrösten. Nach dem Abendessen und vielen wichtigen Gesprächen unter Kameraden geht es gegen Mitternacht endlich ins Feldbett. Hier gewinnt die Müdigkeit glücklicherweise gegen die nicht vermeidbare Geräuschkulisse.
Um 5.30 Uhr beginnt der Tag mit einem wirklich guten Frühstück. Die Versorgung durch die DRK Kollegen ist außerordentlich gut. Zitat unseres Verbandsführers: „Zwei Sorten Actimel bekomme ich nicht einmal zuhause.“
Auch der Besitzer unserer Unterkunft, ein örtlicher Fliesenlegebetrieb, ist schon wach und steht mit Rat und Tat zur Seite. Er betont nochmals, dass wir alle zur Verfügung stehenden sanitären Anlagen, Kühlschrank, Stiefeltrockner usw. nutzen dürfen. Hand aufs Herz. Wer würde ohne zu zögern für wildfremde Personen seinen Betrieb mit allem was dort lagert Tag und Nacht offen zur Verfügung stellen? Eine großartige Geste, die uns die Zeit zwischen den Einsätzen wirklich erleichtert hat.
Weiter geht’s mit Kellern voll von stark verschmutztem und vermülltem Wasser, das wir mit unseren Mitteln so gut es geht auspumpen. Im Verlauf des Tages kommen wir an einigen dramatischen Szenen vorbei. Da ist der örtliche Fußballplatz, der für lange Zeit nicht benutzbar ist, weil das Sportlerheim unter Wasser steht. Der Rasen ist zum großen Teil komplett weggespült.
Da sind komplett frei liegende und unterbrochene Gas-, Wasser- und Strom-Leitungen. Halb unterspülte oder weg gebrochene Straßen. Ein Lob an alle Fahrer in diesem engen und unbekannten Terrain stets die Fahrzeuge im Griff zu behalten!
Würde man nur die Zerstörung betrachten, müsste man wahrscheinlich resignieren. Zum Glück sind überall auch viele Menschen, die ein ganz anderes Bild vermitteln. Da wird der Daumen hoch gezeigt, angepackt, Dank ausgedrückt, Essen besorgt oder einfach nur ein Lächeln verteilt.
Jeder hat Verständnis, wenn wir den randvollen Keller einem kaum betroffenen Haus vorziehen müssen. Es ist wirklich kaum in Worte zu fassen, wie die Menschen vor Ort es schaffen in einem Katastrophengebiet so etwas wie positive Stimmung zu verbreiten.
Ich bin mir sicher, es werden auch noch viele traurige Stunden in den nächsten Tagen und Wochen dieser Menschen kommen. Aber an diesem Tag überwiegen aber ganz klar die positiven Gefühle mit einer Portion Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft, die auch uns mitreißt.
Letztendlich verschlägt es uns gegen Ende des Samstags noch in das Zentrum von Euskirchen, wo wir endlich mal den ganzen Zug an einer Einsatzstelle in Aktion bringen können.
Es gilt eine Tiefgarage auszupumpen. Mutmaßlich sollen keine Personen mehr drin sein. Sicher ist das allerdings nicht.
Wir setzen sowohl die Fahrzeugpumpe des TLF 4000, als auch mehrere tragbare Pumpen ein und erzielen erste Erfolge in Form eines rasch sinkenden Pegels.
Zwischendurch ein Schreckmoment, als eine sehr junge Kameradin im Wasser der Tiefgarage auf einen Kopf stößt. Zum Glück handelt es sich nur um eine Schaufensterpumpe. Ladeninventar aus den umliegenden Geschäften ist durch den Wasserdruck in die Tiefgarage gespült worden. Die Erleichterung ist groß.
Die Einsatzstelle hat ein bisschen was von einem Amphitheater, da sich rund um den Platz mehrstöckige Mehrfamilienhäuser mit Balkonen befinden. Doch anstatt mit kritischer Beobachtung sehen wir uns mal wieder mit unglaublicher Solidarität und Hilfsbereitschaft konfrontiert.
Ein Anwohner zeichnet uns einen Plan der Tiefgarage, ein anderer klärt uns über die bisherigen Ereignisse und örtlichen Gegebenheiten auf.
Wir werden mit Essen, Kaffee, WC-Möglichkeiten und viel Lächeln begrüßt. Aus der einen Ecke kommen Bratwürste, aus der nächsten Hühnchen mit Reis und zur Krönung wird Wildgulasch mit Spätzle gereicht. Das alles ohne Strom und mitten in Zerstörung und Dreck. Zum Ende unseres Einsatzes werden wir schließlich mit Applaus und der Einladung jederzeit zum Urlaub wiederkehren zu dürfen verabschiedet. Mehr geht nicht.
Am Sonntagabend kommen wir Müde nach Haus. Wiederkehren möchte ich auf jeden Fall auch. Euskirchen soll mir nicht als zerstört, sondern als wiederaufgebaut in Erinnerung bleiben.